Rückblick


Bei der intensiven Beschäftigung mit den Phänomenen der komplexen Funktion erinnerte ich mich an eines der Spezialgebiete:  „Zahnradgeometrie“ meines Studiums an der Technischen Hochschule  „Otto-von-Gutricke“  in Magdeburg von 1963 bis 1968, weil die durch meine Web-App generierten Graphiken seltsamerweise an die Zykloiden erinnern, auf der die Zahradgeometrie mathematisch fußt. Zykloiden sind die geometrischen Orte von Punkten auf Kreisen, die auf einer Geraden bzw. aufeinander abrollen. Für den Maschinenbau ist die Evolventenverzahnung herausragend, einerseits wegen der besonders guten Kraftübertragung und andererseits weil sie besonders einfach durch Wälzfräser mit geraden Schneidflanken erzeugt werden  und  auch die Wälzfräser einfach zu fertigen sind, da sie wie gewöhnliche Gewinde auf Drehmaschinen gedreht werden können. Die mathematische Grundlage dafür sind die geometrischen Orte  von Punkten auf dem Kreisumfang, die als Endpunkte von Tangenten von dem Kreis abrollen.  Kürzer: „Abrollende Fäden vom Kreis“. Bei Verzahnungen spricht man technisch genauer vom Teilkreis, der wiederum durch den Modul m=d/z, also Teilkreisdurchmesser durch Zähnezahl bestimmt wird. Dadurch umgeht man die Probleme mit der irrationalen Zahl π und kommt so zu standardisierten Zahnrädern als Modulreihen (DIN 780).

Ich hatte meine erste Anstellung im damaligen VEB Uhren und Maschinenkombinat in Ruhla/Thür. (UMK) (siehe:Mein_Profil) in der Funktion als 1. Programmierer (so wurden Chefprogrammiererinnen und Chefprogrammierer damals in der DDR aus ideologischen Gründen genannt). Ich war also nicht als Ingenieur in der Armbanduhrenfertigung tätig, sondern hatte mich um 10 Programmiererinnen und Programmierer zu kümmern und war natürlich selbst auch als Software- und Datenbankentwickler für die lang- und kurzfristige Produktionsplanung und -steuerung tätig.

Trotzdem regte sich in mir der Fertigungsingenieur: Mich interessierte besonders die Fertigung der z.T. winzigen Zahnräder und Triebe für die Uhrwerke, die ja besonders für Damenarmbanduhren nur noch unter der Lupe ordentlich sichtbar sind. Da ich selbst kein Feinwerktechniker, sondern  Maschinenbauer bin, war ich sehr überrascht, als mich der  zuständige technischen Zeichner vom Vorrichtungsbau („Der kleine H…“), ich sehe Ihn noch heute im Geiste vor mir; aufklärte: Wälzfräsen ist die gängigste Fertigungstechnologie für Zahnräder und Triebe. Es gab speziell für das UMK einen Standard UKS, der die Modulreihen für die einzelnen Kaliber (so bestimmt man die Größe der Uhrwerke weltweit) festlegte. Bei diesen winzigen Zahnhöhen verbieten sich allerdings Evolventenverzahnungen, sie würden sich am Grund des Triebs einfach verhaken und die Uhr bleibt stehen. (Getreu dem damals gängigen mehrdeutigem Spruch: „Ruhlaer Uhren gehen nach wie vor“). Der Standard UKS legte eine Verzahnung fest, die die eigentlich idealen Zykloiden zwischen Trieb und Zahnrad durch normale Radien und daran tangierende Geraden annäherte. Das musste natürlich mit höchster Präzision auf tausendstel Millimeter als Massenproduktion gefertigt und vor allem geprüft werden. Um die Zahnflanken prüfen zu können wurden sie optisch vergrößert und von Präzisionsprojektoren von Carl Zeiss Jena  mit den gezeichneten Masterprofilen zur Deckung gebracht. Alles manuell durch hochqualifizierte Vorrichtungsbauer. Da elektrisierte mich der Spruch vom „kleinen H…“: Das kann man nicht berechnen, sondern nur zeichnerisch aufeinander abrollen, um so die Zahnflankenprofilbilder für Trieb und Zahnrad und die zugehörigen Drehstichel für die jeweiligen Wälzfräserflanken zu erhalten. Der Mann brauchte einen halben Arbeitsmonat für so ein Zahnradpaar  bis alle Profilbilder für die Produktion fertig waren.

Ich frischte meine Kenntnisse aus dem Studium zur Zahnradgeometrie wieder auf und entwickelte die entsprechenden Gleichungen zur Abwicklung der Zykloidenverzahnung (Im Wesentlichen ist das einfach der Cosinussatz) und näherte (verschlechternd) die Zykloiden gemäß UKS durch Kreise und verbindende Tangenten an. Das Alles ergab ein kleines Programmpaket für Darstellende Geometrie in PL/1. Input war der Modul des Rades oder Triebs, Output waren Koordinaten- und Radienlisten für die Profilbilder vom fertigen Rad bzw. Trieb, Profilbilder der Flanken der Wälzfräser und die Profilbilder der Drehstichel für die Fertigung der Wälzfräser.

Als ich damit an den manuell zu bedienenden Präzisionszeichentisch vom „kleinen H…“ trat, hat er nur spöttisch gelächelt. Das Lächeln verschwand zusehends, je mehr er nach meinen Koordinaten zeichnete, bzw. an den X- und Y-Kurbeln seines Zeichentisches drehte. Er sagte nur manchmal: „Stimmt“. Bei meinem nächsten Besuch des Vorrichtungsbaus, mit meiner Koordinatenliste in der Hand, begrüßte mich der Abteilungsleiter geradezu ehrerbietig und war selbst überwältigt von meinem Erfolg und sagte wörtlich: „Ich habe nie daran geglaubt, dass die EDV zu was taugt“.

Warum ich das alles erzähle: Es war noch in den 70. Jahren sehr schwer in den Fertigungsunternehmen speziell die Ingenieure von den Vorteilen der EDV zu überzeugen. Konstrukteure liebten Ihre Rechenschieber und Zeichentische und wollten noch nicht anders.

Der Rationalisierungserfolg war enorm: 90% Zeiteinsparung im Vorrichtungsbau und verbesserte Präzision. Ich wollte noch einen Lochstreifen für die Steuerung eines elektronischen Zeichentisches programmieren, das scheiterte an den Kosten (1/2 Mio. Mark der DDR für einen tschechischen Präzisions-Plotter). Außerdem, was soll der „kleine H…“ dann machen?

Mein sehr lieber Kollege und Freund, Dr. F. Engelmann, erzählte mir bei unserem jüngsten Wiedertreffen aus dem sehr traurigem Anlass der Beerdigung meiner Frau Kirsten, dass mein PL/1 Programmpaket(chen) sogar nochmal in FORTAN umprogrammiert wurde.

Das ist Geschichte, heute erledigt ein Präzisionsbearbeitungszentrum diese Arbeit vom Entwurf bis zum fertigen Kaliber.  

Original Ruhlaer Uhrwerk in der Furnitur von 1950 aus DDR-Produktion für Qiuelle

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